Top-Logo

 

 

  Archiv

  Termine 

  Kontakt
 
  Links 

Startseite

Offener Gesprächs- und Informationskreis:
Jeden vierten Montag im Monat um 19 Uhr im zakk

Cost of the War in Iraq
(JavaScript Error)
Besucher seit
20. April 2004:

Deutsche Medien und Falludscha -
Komplizen eines Kriegsverbrechens
Von Peter Schwarz 12. November 2004

Die Reaktion der deutschen Medien auf die US-Offensive gegen die 300.000-Einwohner-Stadt Falludscha ist ein politischer Skandal. Die weitgehende Zerstörung einer Großstadt ist den großen Fernsehanstalten und den meisten Tageszeitungen lediglich eine Notiz am Rande wert. Die Sprachregelung der US-Kriegspropaganda wird weit- gehend übernommen, das brutale Vorgehen gegen die Zivilbevölkerung verschwiegen. Verfolgt man die Ereignisse durch den Filter der deutschen Medien, könnte man glauben, es handle sich um eine routinemäßige Polizeiaktion gegen "Terroristen", und nicht um die Eskalation eines Besatzungskrieges, der immer offener zum nackten Terror gegen die Zivilbevölkerung übergeht. Vergleicht man die jetzige Berichterstattung mit jener zu Beginn des Irakkrieges im Frühjahr 2003, fällt der Unterschied besonders deutlich ins Auge. Damals stellten alle großen Fernsehkanäle ihre Programme um und brachten stundenlange Sondersendungen über den Krieg.

Die ARD sendete jeweils nach den Hauptnachrichten wochenlang einen 15- bis 45-minütigen "Brennpunkt". Diese ausführliche Berichterstattung ermöglichte es den Zuschauern, ein eigenes Urteil zu bilden, und trug so maßgeblich zum großen Ausmaß der Antikriegsdemonstrationen bei. Obwohl der Angriff auf Falludscha die größte Militäroffensive seit der Eroberung Bagdads darstellt und jene an Rücksichtslosigkeit noch übertrifft, gibt es diesmal keine vergleichbare Berichterstattung. Am Dienstag, dem zweiten Tag der Offensive, konzentrierten sich sämtliche Nachrichtensendungen auf das 15-jährige Jubiläum des Mauerfalls. Im heute-journal des ZDF folgte ein langer, ermüdender Bericht über die groteske Debatte, den Tag der Deutschen Einheit auf einen Sonntag zu verlegen, bevor dann ganz kurz über den Angriff auf Falludscha berichtet wurde - in der offiziellen Sprachregelung der US-Regierung. Nicht besser war es am folgenden Abend - der Mauerfall war inzwischen aus den Schlagzeilen verschwunden - in Uli Wickerts Tagesthemen. Sie begannen mit einem zehnminütigen Bericht über die Wiederwahl des sächsischen Ministerpräsidenten Georg Milbradt.

Der Irak war Wickert noch nicht einmal einen selbständigen Bericht, geschweige denn einen Kommentar wert. Lediglich in der Zusammenfassung der Nachrichten wurde mit wenigen Sätzen darüber berichtet. Man musste auf andere Sender wie die britische BBC umschalten, um einen Eindruck vom Ausmaß und der Erbarmungslosigkeit der Offensive zu erhalten. Zwar gab auch die BBC weitgehend die offizielle, regierungsamtliche Version der Ereignisse wieder, aber die minuten- langen Bilder ihrer "eingebetteten" Journalisten ließen zumindest erahnen, welche Hölle die Besatzungstruppen in Falludscha entfesselt haben. Sie zeigten den pausenlosen Beschuss von Wohnhäusern und Moscheen und zahlreiche Interviews mit Kommandeuren vor Ort, deren blutrünstige Kommentare einem das Blut in den Adern gefrieren ließ. "Kill, kill, kill" war das häufigste Wort, dass sie immer wieder hemmungslos in die Kameras brüllten.

Ähnlich zurückhaltend wie die großen Fernsehprogramme berichteten auch die wichtigsten deutschen Tageszeitungen. Der Angriff auf Falludscha war den meisten weder eine Schlagzeile noch einen Kommentar wert. In der Regel beschränkten sie sich auf eine kurze Zusammenfassung von Agenturmeldungen auf den Nachrichtenseiten, wobei sie die offizielle Sprachregelung kritiklos übernahmen. Die einzige Ausnahme unter den überregionalen Tageszeitungen war die Frankfurter Rundschau, die relativ ausführlich und kritisch über die Offensive berichtete. In der Wochenzeitung Die Zeit erschien am Donnerstag ein Hintergrundartikel, der die US-Offensive als Rachefeldzug darstellt und die Behauptung zurückweist, er richte sich gegen ausländische Terroristen und nicht gegen den Widerstand der einheimischen Bevölkerung. Doch solche Artikel bilden die Ausnahme.

Veröffentlichten Zeitungen Kommentare, begrüßten sie in der Regel die Offensive und erteilen der US- Regierung Ratschläge, wie sie diese möglichst wirkungsvoll zu Ende führen kann. So empfahl die Süddeutsche Zeitung den US-Militärs, die Stadt möglichst schnell zu erobern. "Mit Verhandlungsangeboten allerdings sind die Rebellen von Falludscha ebenso wenig zu erreichen wie mit dem Versprechen von Wiederaufbauhilfe", heißt es in einem Kommentar von Peter Münch. "Der Widerstand kann nach der fehlgeleiteten Entwicklung der vergangenen 18 Monate tatsächlich nur militärisch gebrochen werden. Das birgt viele Risiken und nur eine Hoffnung: Es möge schnell gehen. Ein rascher Sieg der US-Truppen im Verbund mit der neuen irakischen Armee könnte Signalwirkung haben für das ganze Land."

Die taz, die ansonsten kaum über Falludscha berichtet, erteilt den US-Truppen den freundschaftlichen Ratschlag, nicht all zu viele Zivilisten umzubringen. "Zunächst besteht die Herausforderung darin, die Stadt zu erobern, ohne dass dabei viele Zivilisten ums Leben kommen", heißt es in einem taz-Kommentar von Karim el-Gawhary. "Sollte das misslingen, würden die USA zwar über kurz oder lang Falludscha niederringen, zugleich aber im ganzen Land viele neue Falludschas schaffen. Die Rebellen wissen das. Sie werden deshalb versuchen, der US-Armee hohe Verluste zuzufügen - in der Hoffnung, dass die Amerikaner dann wild um sich schießen." Die taz folgt hier einem Propagandamuster, das so alt ist wie der Kampf von Kolonial- und Besatzungsarmeen gegen Partisanen. Nicht die Angreifer, die mit hochmodernen Waffen eine dicht besiedelte Stadt bombardieren, sind für die zivilen Verluste verantwortlich, sondern der Widerstand, der sich mit uralten Panzerfäusten und Kalaschnikows zur Wehr setzt und die US-Armee dazu verleitet, "wild um sich zu schießen". Es fehlt nur noch, dass die taz dem irakischen Widerstand vorwirft, er verwende die Zivilbevölkerung als "menschliche Schutzschilder". "Doch selbst wenn das Kunststück einer relativ unblutigen Eroberung gelingen sollte," fährt die taz fort, "steht eine zweite große Aufgabe an: Die Stadt muss befriedet werden. [...] Endgültig be- urteilen lässt sich der Erfolg oder Misserfolg der Militäraktion erst am Wahltag, der nach bisheriger Planung Ende Januar statt- findet."

Die taz steht offenbar im Lager jener, die auf einen "Erfolg der Militäraktion" hoffen - wobei sie mit Rücksicht auf die Empfindsamkeit ihrer Leser dafür betet, dass dem Patienten im Verlauf der Operation nicht allzu große Schmerzen zugefügt werden. Die taz wurde vor 25 Jahren als Alternative zu den offiziellen bürgerlichen Medien gegründet. Seither hat sie sich - gemeinsam mit den Grünen, denen sie immer nahe stand - kontinuierlich nach rechts entwickelt. Seit Joschka Fischers Einzug ins Außenministerium steht sie ganz auf dem Standpunkt der offiziellen deutschen Außenpolitik. Die Gleichgültigkeit, mit der die deutschen Medien auf das Gemetzel in Falludscha reagieren, ist derart auffällig und weit verbreitet, dass sie nicht auf ein Versehen oder die Linie einzelner Redaktionen zurückgeführt werden kann. Dabei fehlt es nicht an Informationen, dass in Falludscha Kriegsverbrechen begangen werden, die mit jenen der deutschen Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg vergleichbar sind. Schon die Zahlen sprechen für sich. Mehr als 10.000 bis an die Zähne bewaffneten US-Soldaten, die mit Panzer- und Luftunterstützung vorgehen, stehen maximal 3.000 primitiv bewaffnete Aufständische gegenüber.

Bevor US-Einheiten vorrücken, greifen Flugzeuge, Hubschrauber und Panzer Häuser und Gebäude mit Raketen, Bomben und schwerkalibrigem Maschinengewehrfeuer an, um alle Verteidiger aus- zulöschen. Wohngebiete werden mit phosphorhaltigen Artilleriegeschossen bombardiert. Sie lösen Brände aus, die mit Wasser nicht gelöscht werden können. Der irakische Journalist Fadil al-Badrani, der für Reuters arbeitet, berichtete am Dienstag aus der belagerten Stadt: "Minute für Minute explodieren Hunderte Bomben und Granaten... Der Norden der Stadt steht in Flammen. Ich sehe Feuer und Rauch. Falludscha ist zur Hölle geworden." Am nächsten Tag meldete derselbe Journalist, dass fast die Hälfte der 120 Moscheen in der Stadt "durch amerikanische Luft- und Panzerangriffe zerstört" worden seien. Selbst die zensierten Berichte der "eingebetteten" Journalisten lassen keinen Zweifel, dass die Angreifer ohne Rücksicht auf zivile Verluste vorgehen. So berichtete der in einer Marineeinheit eingebettete Korrespondent des Christian Science Monitor (USA): "Jedes Fahrzeug wird als potentielle Autobombe und jede Person als möglicher Feind behandelt. Über Funk kam sogar die Anweisung, Hunde zu erschießen, da sie Sprengstoff tragen könnten."

Der Berichterstatter der Chicago Tribune, der mit US-Einheiten in die Stadt vorrückte, meldete, eine Einheit für psychologische Kriegsführung sei hinter ihnen her gefahren und habe über Lautsprecher Wagners "Walkürenritt" gespielt - die Musik, mit der Francis Ford Coppola in "Apocalyse Now" ein Massaker an vietnamesischen Zivilisten untermalt. Indem sie diese Informationen ignorieren, unterdrücken oder herunterspielen, machen sich die deutschen Medien zu Komplizen eines Kriegsverbrechens. Der Grund für dieses Verhalten ist eine Mischung aus politischer Feigheit und Anpassung. Seit klar ist, dass George W. Bush das Weiße Haus für weitere vier Jahre besetzen wird, übt sich die deutsche Regierung in Ergebenheitsadressen und Anbiederungsversuchen. Was sie betrifft, so legitimiert Bushs Wahlsieg vom 2. November alle seine vergangenen und zukünftigen Verbrechen. Diese Haltung spiegelt sich in den Medien wieder. Anders als in den USA, wo einige wenige regierungsnahe Medienkonzerne Presse und Fernsehen kontrollieren, kann ihnen die Regierung hier zwar die politische Linie nicht einfach vorgeben. Doch im Verhalten der großen Mehrheit der Redakteure und Journalisten tritt ein über Generationen eingeübter Reflex der deutschen Intelligenz und Mittelklasse zutage: der Respekt vor jeder Macht und Autorität.

Nach Bushs Bestätigung im Amt ist die Kritik an der amerikanischen Kriegsführung im Irak weitgehend verstummt. So verhielten sie sich gegenüber Bismarck, so buckelten sie vor Willhelm II, so wählten sie Hindenburg, und so ordneten sie sich Hitler unter. Das Schweigen über die Verbrechen der USA im Irak bedeutet nicht, dass die tonangebenden Kreise in Politik und Medien zukünftige Konflikte und Zusammenstöße mit der transatlantischen Supermacht ausschließen. Ganz im Gegenteil. Aber sie wollen sich nicht darauf vorbereiten, indem sie die Bevölkerung aufrütteln und an ihr Gerechtigkeitsgefühl appellieren. Das wäre angesichts der weitver- breiteten Unzufriedenheit über die soziale Lage viel zu brisant und gefährlich. Stattdessen reden sie der militärischen Aufrüstung das Wort, um Amerika in Zukunft "auf Augenhöhe gegenüberzutreten". In diesem Punkt ist sich auch die SPD-nahe Frankfurter Rundschau mit den anderen einig. "Amerikas Wahl zwingt Europa auf die eigenen Beine", kommentierte dort Martin Winter die Wiederwahl von Bush. "Nur ein starkes Europas, das Verantwortung übernimmt, wird von den USA respektiert werden." Auf der anderen Seite des Rheins wurde man noch deutlicher. Die Wiederwahl von George W. Bush werde Europa aufwecken, leitartikelte Le Monde. "Die Schlussfolgerung lautet: Europa muss stärker werden. Es darf keine Zeit mehr verlieren." Dabei seien zwei Aspekte wichtig: "Erstens muss Europa die Stärke haben, um nicht mehr als `Pygmäe` behandelt zu werden, wie die amerikanischen Neokonservativen nicht ohne Grund sagen. Man muss deshalb in beschleunigtem Tempo ein Europa der Verteidigung und, was damit verbunden ist, eine europäische Verteidigungsindustrie aufbauen. Zweitens muss Europa aus seiner wirtschaftlichen Schwäche herauskommen."